Die Belege für Positivlisten fehlen
Wenn Sie eine klare, fachkundige Einschätzung zu einem der umstrittensten Themen der Tierhaltung heute suchen, ist dieses Interview ein Muss.
Dr. Martin Singheiser vom BNA erklärt, warum Positivlisten in Europa und darüber hinaus immer wieder scheitern. Er erläutert, wie diese restriktiven Tierhaltungsverbote die Fakten ignorieren und riskieren, sowohl Tiere als auch die Menschen, die sich um sie kümmern, zu schädigen.
Wir beleuchten, was in Ländern schiefgelaufen ist, die bereits Positivlisten eingeführt haben, warum Vollzugsdefizite sie wirkungslos machen und wie solche Gesetze den Arten- und Tierschutz sowie die öffentliche Sicherheit sogar untergraben können.
Außerdem skizziert Dr. Singheiser praktische, evidenzbasierte Alternativen – von gezielter Regulierung bis hin zu besserer Bildung –, die tatsächlich das Tierwohl verbessern und Risiken mindern, ohne verantwortungsbewusste Halter zu bestrafen.
Der BNA setzt sich auf regionaler, nationaler und EU-Ebene für den Artenschutz und eine verantwortungsvolle Tierhaltung ein und betont den Lebensraumschutz als oberste Priorität. Der BNA stellt Bildungsangebote für verschiedene Zielgruppen bereit (Behörden, Zoofachhandel, Tierhalter und Tierärzte) und arbeitet eng mit Tier- und Pflanzenhaltern in seinen Mitgliedsverbänden zusammen, um das Überleben von Arten zu sichern.
Skript
Mein Name ist Martin Singheiser. Ich bin Biologe und seit 2018 Geschäftsführer beim BNA Deutschland. Wir beim BNA setzen uns für Arten- und Tierschutz unter menschlicher Obhut ein.
Das Problem der Positivliste
Eines der größten Probleme, mit denen wir in Europa in Bezug auf die Tierhaltung konfrontiert sind, ist die Positivliste. Eine Positivliste ist eine Liste von Arten, die gehalten werden dürfen – und alles andere ist verboten. Es könnte das Ziel mancher Organisationen sein, jegliche Tierhaltung zu verbieten. Die Positivliste ist nur der Anfang. Während die Befürworter von Positivlisten argumentieren, dass diese ein gutes Mittel seien, um die Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten und zoonotischer Krankheiten zu verhindern, trifft das am Ende nicht zu.
Funktionieren Positivlisten?
Wir glauben nicht, dass Positivlisten in den Ländern, in denen sie eingeführt wurden, gute Arbeit leisten. Denn wir sehen keine positiven Effekte, sie sind uns nicht bekannt und wir haben keine Belege der Länder selbst, dass sie ein gutes Mittel sind, um all die angesprochenen Probleme – wie Tierwohl, Artenschutz, invasive Arten oder zoonotische Krankheiten – zu verbessern.
Was sagt die Wissenschaft?
Derzeit gibt es Beispiele, die zeigen, dass Positivlisten rechtlich gescheitert sind. Zum Beispiel in Wallonien in Belgien, oder sie werden aktuell in den Niederlanden vor Gericht angefochten. Es gibt einen Fall vor dem Europäischen Gerichtshof, der besagt, dass Positivlisten fair und auf wissenschaftlichen Kriterien basieren müssen. Und für viele Aspekte ist dieses Kriterium sehr schwer zu erfüllen.
Nehmen wir den Artenschutz als Beispiel. Wenn eine Art nicht auf eine Positivliste gesetzt wird, weil sie in der Natur bedroht ist, könnte dies ein Grund sein, sie nicht aufzunehmen. Obwohl die Art möglicherweise häufig unter menschlicher Obhut gezüchtet wird, sehen wir das Problem, dass Arten, die seit Jahrzehnten in Menschenobhut gehalten und gezüchtet werden, zukünftig verboten werden könnten, wenn eine Positivliste in Kraft tritt.
Und das wäre weder förderlich für das Tierwohl noch für den Artenschutz.
Bedenken beim Vollzug von Positivlisten
Wir sehen derzeit, dass den zuständigen Behörden in vielen Mitgliedstaaten Personal fehlt, gut ausgebildetes Personal, um Tierschutzgesetze durchzusetzen. Das zeigt sich in Deutschland auf mehreren Ebenen, aber auch in anderen europäischen Ländern.
Beispiele aus Belgien zeigen zudem, dass Positivlisten zwar existieren, aber nicht kontrolliert werden. Aus Flandern haben wir gehört, dass bestimmte Arten, die nicht auf der Liste stehen, weiterhin gehalten werden, die Behörden dies wissen, aber keine Maßnahmen ergreifen. Es gibt weder Beschlagnahmungen der Tiere, noch versuchen die Halter, diese Tiere registrieren zu lassen.
Positivlisten und Zoonosen
Wir glauben nicht, dass eine Positivliste bei der Prävention zoonotischer Krankheiten hilft. Die meisten Zoonosen werden durch Säugetiere und Vögel übertragen, etwa die Vogelgrippe, Afrikanische Schweinepest und andere Erkrankungen. Das zoonotische Risiko von Reptilien ist zum Beispiel gering und beschränkt sich hauptsächlich auf Salmonellosen. Zudem haben wir auf EU-Ebene eine Regulierung, die einen sehr guten Rahmen für den Umgang mit zoonotischen Krankheiten bietet. Daher würde eine Positivliste in diesem Bereich keinen zusätzlichen Nutzen bringen.
Gefährliche Tiere kontrollieren
Man könnte argumentieren, ob eine Positivliste ein gutes Mittel zur Regulierung gefährlicher Tiere ist. Andererseits könnte man für gefährliche Tiere eine Negativliste einführen, auf der diese Tiere grundsätzlich verboten sind – es sei denn, man weist bestimmte Fachkenntnisse oder Sicherheitsmaßnahmen in der Haltung nach. Man könnte den Gesetzesrahmen für gefährliche Tiere also auch von einer Positivliste auf eine Negativliste mit Ausnahmen umstellen.
Positivlisten behindern die Wissenschaft
Wir sind der Ansicht, dass Positivlisten die Wissenschaft behindern, denn durch die Haltung nicht domestizierter und seltenerer Arten lernen wir sehr viel über deren Bedürfnisse. Und wenn es eine Positivliste gäbe, ginge all dieses Wissen verloren. Der Beitrag privater Halter nicht domestizierter Tiere zu Fachliteratur, Magazinen und Büchern ist enorm – und all dieses Wissen würde verloren gehen. Darüber hinaus kommen viele Menschen, die später in zoologischen Einrichtungen arbeiten, aus der privaten Tierhaltung und Zucht. Wird dies durch Positivlisten eingeschränkt, befürchten wir auch negative Auswirkungen auf die Wissenschaft.
Positivlisten schaden dem Artenschutz
Positivlisten könnten außerdem den Artenschutz negativ beeinflussen. Wenn man mit Befürwortern spricht, hört man häufig, dass offizielle Programme wie die der EAZA-Zoogemeinschaft nicht betroffen wären. Es gibt jedoch viele Programme zwischen Zoos und privaten Haltern – wie Citizen Conservation in Deutschland – oder ausschließlich unter privaten Züchtern, die stark zum Artenschutz beitragen. Eine Positivliste könnte diese Programme negativ beeinträchtigen, da diese Arten unter menschlicher Obhut oft als „Arche“ fungieren. Daher glauben wir, dass Positivlisten nicht zum Artenschutz beitragen.
Positivlisten und Tierwohl
Ob es ein tatsächliches Tierwohlproblem mit exotischen Tieren gibt, ist nicht einfach zu beantworten. Für die gesamte Europäische Union können wir es nicht sagen, aber wir haben z. B. eine Studie aus Deutschland – die sogenannte Exopet-Studie –, die das Wohlergehen nicht domestizierter Tiere untersucht hat. Diese Studie zeigte, dass in allen Taxa die Top-10-Arten die schwersten Tierschutzprobleme aufwiesen. Hingegen zeigten jene Arten, die als exotischer und schwieriger in der Haltung gelten, die geringsten Probleme – denn die Halter dieser Arten sind meist gut ausgebildet, gut informiert und Experten für ihre Tiere. Das reduziert Tierschutzprobleme.
Problem bei der Weitervermittlung
Die Einführung einer Positivliste könnte auch eine Weitervermittlungskrise auslösen, da unklar ist, was mit all den Arten geschieht, die nicht auf der Liste stehen. Das ist bislang völlig offen. Dies könnte eine massive Abgabewelle verursachen, besonders bei Arten, die sehr alt werden können – etwa Schildkröten und Landschildkröten. Auffangstationen und Tierheime sind bereits voll, und eine Positivliste könnte diese Situation weiter verschärfen.
Mehr Gesetze oder besserer Vollzug?
Wir glauben, dass es nicht an Gesetzen oder Regulierung mangelt, sondern am Vollzug. Um bestehende Gesetze zu verbessern, wäre ein besserer Vollzug erforderlich – dann bräuchte es keine Positivliste. Es hilft nicht: Wenn etwas illegal ist, macht eine Positivliste es nicht illegaler.
Überregulierung
Wir glauben, dass Positivlisten derzeit nicht notwendig sind, um Tierwohl oder andere Probleme zu verbessern, da wir bereits Gesetze haben. Es mangelt nicht an Gesetzen, sondern an ihrer Durchsetzung. Eines der Grundprinzipien der EU lautet, dass stets das mildeste geeignete Mittel angewandt werden muss – und eine Positivliste ist nicht dieses mildeste Mittel. Wenn andere Maßnahmen möglich sind, sollten diese richtig vollzogen werden. Und wenn dadurch die Probleme tatsächlich adressiert werden können, ist eine Positivliste nicht erforderlich.
Positivlisten funktionieren nicht (aber das funktioniert)
Der BNA schlägt andere Maßnahmen vor als eine Positivliste, um die Themen zu lösen, für die Positivlisten gedacht sind.
Beim Thema Tierwohl setzen wir uns für besseres Wissen bei Haltern und künftigen Haltern ein. Sie sollten gut geschult sein und wissen, welche Bedürfnisse die Tiere haben, die sie anschaffen möchten – und sich überlegen, ob sie diese Bedürfnisse über die gesamte Lebenszeit des Tieres erfüllen können. Daher brauchen wir niedrigschwellige Informationskampagnen zu den Anforderungen der Tiere, die nach unserer Ansicht wesentlich effektiver sind als ein Verbot bestimmter Arten.
Beim Artenschutz plädieren wir für eine deutlich bessere Datenerfassung. Viele geschützte Arten werden von erfahrenen privaten Haltern erfolgreich gezüchtet. Wenn wir diese Daten sammeln könnten, hätten wir das größte Zuchtbuch der Welt – und könnten den enormen Beitrag privater, erfahrener Züchter zum Artenschutz dokumentieren.
Bei invasiven Arten schlagen wir vor, Halter darüber zu informieren, wie unbeabsichtigtes Entkommen verhindert werden kann – im Einklang mit der EU-Verordnung über invasive gebietsfremde Arten.
Beim Thema Zoonosen existieren bereits zahlreiche Regelungen, aber wir müssen Halter über Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen informieren. Wir sollten sie darin schulen, Krankheitsanzeichen zu erkennen und sie ermutigen, bei Verdacht einen Tierarzt zu kontaktieren, damit Probleme professionell behandelt werden können.
Bei potenziell gefährlichen, z. B. giftigen Tieren sprechen wir uns nicht für ein Verbot aus, sondern für eine Negativliste. Solche Tiere sollten von Personen gehalten werden dürfen, die bestimmte Anforderungen erfüllen.
Keine Belege für Positivlisten
Derzeit fehlen Informationen, dass Positivlisten einen Nutzen haben – und ebenso fehlen die Daten, um überhaupt eine fundierte Positivliste zu erstellen. Solange belastbare Daten fehlen, sind alle Argumente zu einem gewissen Teil spekulativ. Momentan fehlt eine solide wissenschaftliche Datengrundlage, auf der die Entscheidung für eine Positivliste beruhen könnte. Letztlich ist es für manche Befürworter vermutlich ein Werkzeug, um die gesamte Tierhaltung zu regulieren. Daher unterstützen wir Positivlisten nicht.
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